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20.12.2009 | Franz Bretterbauer | Mitteilungen Ausbildung

Falsche Taktik - Große Schäden

Im Brandaus 11/2009 wurde das sehr interessante und zum Umdenken anregende Buch von Markus Pulm (Dr. der Chemie und Oberbrandrat bei der BF Karlsruhe) vorgestellt, das nunmehr in der 6. Auflage (2008) vorliegt. Es wird vom Verlag Kohlhammer unter ISBN 978-3-17-020440-9 vertrieben. Das Buch kostet z. B. bei Amazon ca. 17,- €

Markus Pulm regt in diesem Werk die Führungskräfte vom Einsatzleiter bis zum (Atemschutz-)Truppführer an, bei der bisher gewählten Taktik zur Brandbekämpfung umzudenken und mehr aus den Augen des Geschädigten zu sehen. Nicht die schnellste Zeit bis "Brand aus" ist das Ziel unserer Tätigkeit, sondern die Schäden insgesamt so niedrig wie möglich zu halten. Dabei wird - vermutlich nicht nur in Deutschland - bei der konventionellen Vorgangsweise der Rauchausbreitung und damit der Kontaminierung von bis zum Eintreffen der Feuerwehr noch nicht verrauchter Räume oft nicht ausreichend Einhalt geboten.

Markus Pulm 


Falsche Taktik - Große Schäden 


Einige Zitate und Aussagen aus dem Buch 


  • Einführung 
    • Umdenken = Thema für uns alle! 
      • Die gesamte Mannschaft muss auf eine modifizierte Taktik vorbereitet sein, damit es nicht an der Einsatzstelle zu Diskussionen und Fehlinterpretationen kommt. 
    • Denkanstöße 
      • These 1: Der Einsatz der FW hat unmittelbar Einfluss auf das Einsatzgeschehen. Außer den gewünschten positiven Effekten kommt es häufig zu einer unerwünschten Schadensausweitung in Teilbereichen als Folge unserer Maßnahmen 

        These 2: Viele dieser Schäden sind vermeidbar 

        • durch verstärkte Sensibilisierung der Einsatzkräfte 
        • durch geänderte Taktik 
        • durch Ergänzung unserer technischen Ausstattung 

        Beispiel Rauchschutztür 

        • Nachdem eine Rauchschutztür viele Jahre lang korrekt und völlig nutzlos ihren Dienst versehen hat, bricht eines Nachts ein Feuer aus. Endlich kann die Tür ihre Funktionsfähigkeit unter Beweis stellen... 
          ...bis zum Eintreffen der Feuerwehr 

        Beispiel Kellerbrand 

        • Im Keller eines Wohnhauses ist ein Feuer ausgebrochen. Die Kellerabschlusstür ist geschlossen, keine Personen in Gefahr. Als der Angriffstrupp die Tür öffnet, dringt dichter schwarzer Rauch in den Treppenraum und damit in den Fluchtweg für die oberen Stockwerke. Rauch zieht auch durch eine Wohnung ab, deren Benutzer die Tür zu schließen vergessen hatte.... 
    • Unsere Ziele 
      • Unser Ziel ist die Minimierung bzw. Vermeidung von Schäden jeglicher Art (u.a. auch die Rettung von Menschen und Tiere, Brandbekämpfung) 

        Der Schutz der Werte muss im Zentrum der Überlegungen stehen 

        Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Es ist mit unseren Zielen nicht in Einklang zu bringen, wenn wir billigend in Kauf nehmen, dass Dinge zerstört werden, die nicht zerstört werden mussten. 

        Benehmen wir uns in fremden Wohnungen doch einfach so, als wäre es unsere eigene Wohnung - oder die unserer Mutter 

  • Beurteilung von Schäden 
    • Schäden bei Brandeinsätzen 
      • Schaden durch unmittelbare Brandeinwirkung 

        + Löschwasserschäden 

        Rauchschäden 

        Sanierungs- und Entsorgungskosten 

        Ausfallzeiten 

        + ökologische Schäden, Imageverluste usw 

        = Gesamtschaden 

        Die Rauchschäden, Sanierungs- und Entsorgungskosten und Ausfallzeiten machen oft den größten Teil des Schadens aus. 

        Gleichzeitig sind es die Parameter, die in den taktischen Überlegungen eine eher untergeordnete Rolle spielen, wir konzentrieren uns vornehmlich auf die Brandbekämpfung 

        Unser Ziel = Reduzierung des Gesamtschadens! 

        So kann der Einsatz als erfolgreich eingestuft werden, wenn die zielorientierte Taktik bspw. zu einem höheren Schaden durch die Brandeinwirkung geführt hat, sofern hierdurch z.B. Rauchschäden in mindestens gleichem Wert vermieden werden konnten. 

        Kundenorientiertes Handeln bedeutet, den Ausfallzeiten hohe Aufmerksamkeit zu widmen und die Funktionalität von Wohnungen, Betrieben, Einrichtungen und der Infrastruktur schon bei der Einsatzplanung zu beachten 

      Bilanzierung an der Brandstelle 
      • Beispiel: Der alternative Löschangriff nimmt etwa 4 min mehr in Anspruch. 
        Der Wertverlust wird auf 500 €/min geschätzt. 
        Die zu erwartenden Rauchschäden bei einem konventionellen Angriff belaufen sich auf etwa 25.000 €. 
        Fazit: 23.000 € Gewinn! 

      betriebliches Kontinuitätsmanagement 
      • Falls die Firma Fachwissen, Ortskenntnisse und notw. Logistik beistellen kann, sollten diese Personen in die EL integriert werden 

      Schutz von ideellen Werten und Kulturgütern 
      • Da notwendige Fachwissen ist meist nicht vorhanden, aber ein wenig Nachdenken kann schon helfen: z.B. Rauch nicht in Ausstellungsräume gelangen lassen, Gegenstände mit Folien vor abtropfendem Löschwasser schützen; Fotosammlungen, Erinnerungsstücke im privaten Bereich... 

      Stress und Zeitdruck sind häufig vermeidbar 
      • Um wirtschaftliche Überlegungen anstellen zu können, müssen wir diesen Zeitdruck reduzieren, wann immer möglich, z.B. durch folgende Fragen, die wir uns stellen: 

        Was ist bereits vernichtet? 

        • Bei einem Küchenbrand sind nach erfolgter Durchzündung alle Werte im Raum verloren. 
          Wenn sich das Feuer nicht ausbreiten kann, gibt es eigentlich keinen Grund für Stress. 

        Was gibt es noch zu retten? 

        • "nur" brennende Speisen in der noch intakten Küche: 
          hier gibt es noch viel zu retten, der Brand zwingt uns möglicherweise 
          zu schnellem Handeln, um ihn auf einen Entstehungsbrand zu begrenzen. 

        Was ändert sich pro Zeiteinheit? 

        • auch zu berücksichtigen, dass bis zum Eintreffen der FW das Feuer bereits seit einigen Minuten brennt. 

          Wenn bspw. beim Vollbrand einer Lagerhalle schon alles zerstört ist, liegt der weitere Wertverlust pro Minute bei Null, 

          wir befinden uns in einem stationärem Zustand. 

        Die Lage stabilisieren 

        • Wenn es gelingt, das Schadensausmaß auf das beim Eintreffen vorgefundene Ausmaß 
          zu beschränken, haben wir Zeit, die Vorgehensweise bis ins Detail zu planen. 

        Disziplinlosigkeit als Stressfaktor 

        • Die Zeit, die für eine ausreichende Erkundung aufgewendet wird, bringt oftmals einen großen Zeitvorteil 

          unbedingt abzustellen: Mannschaft, die "schon mal anfängt", während die Führungskraft noch erkundet. 

  • Taktische Grundlagen 
    • +Was ist Gefahr? 
      • Gefahr setzt eine Gefahrenursache und ein bedrohtes Objekt voraus, das sich im Gefahren- oder Wirkungsbereich befindet 

        Gefahr = Schadensausmaß x Eintrittswahrscheinlichkeit 

        modifizierte Formel: 
        Gefahr = noch vermeidbarer Schaden bei schnellstmöglicher Einleitung realisierbarer Gegenmaßnahmen x Eintrittswahrscheinlichkeit bei ausbleibenden Gegenmaßnahmen. 
        (Entscheidend für unsere Beurteilung kann nur das Schadensausmaß sein, das sich durch unser Eingreifen noch beeinflussen lässt.) 

        Anmerkungen zur Gefahrenmatrix 

        • Gefahr durch Atemgifte wird für Sachwerte verneint Brandrauch ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Atemgiften. 

          Brandrauch hat neben den toxischen Wirkungen auch Eigenschaften, die Sachwerte schwer beschädigen können (zB. korrosive Eigensch.) Vor allem hochwerte elektronische Geräte reagieren sehr empfindlich auf diese Schadstoffe. Brandrauch enthält immer auch Ruß, an dem Schadstoffe in gesundheitsschädlicher Konzentration adsorbiert sind. 

          Brandrauch muss daher auch unter dem Gesichtspunkt der "Ausbreitung" betrachtet werden: "Ausbreitung von Feuer und Rauch" ergibt auch Gefahr für Sachwerte 

        Mit Gefahren umgehen - vier grundsätzliche Möglichkeiten 

        • 1. Gefahrenursache beseitigen 
        • 2. In Sicherheit bringen 
        • 3. Abschirmen 
        • 4. Aufgeben 

        Das Tabuthema "Aufgeben" 

        In folgenden Situationen kann es sinnvoll sein, Objekte aufzugeben: 

        • 1. Ein Objekt ist bereits vernichtet oder nicht mehr zu retten. Es gibt keine sonstigen Gründe um dieses Objekt zu kämpfen 

          2. Der erforderliche Aufwand, um das Objekt zu retten, ist zu groß und hindert uns daran, sinnvollere Dinge zu tun. 

          3. Das Risiko, das eingegangen werden muss, um das Objekt zu retten, steht in keinem Verhältnis zu dem zu rettenden Gut. 

        Wie ist das beim Thema "Menschenrettung"? 

        Als Grund, ein Menschenleben aufzugeben, kann nur gelten: 

        • 1. die Rettung anderer Menschen ist vorrangig zu verfolgen 

          2. Das Risiko für die Retter steht in keinem Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit, die Menschenrettung erfolgreich abschließen zu können. 

        So neu ist das eigentlich nicht... 

        • einige Fragestellungen in der Beurteilungsphase: 

          - Welche Gefahren bestehen für Menschen, Tiere, Sachwerte? 

          - Welche Gefahr muss zuerst bekämpft werden? 

          - Wo ist der Gefahrenschwerpunkt? 

          - Welche Möglichkeiten bestehen für die Gefahrenabwehr? 

          - Welche Vor- und Nachteile haben die verschiedenen Möglichkeiten? 

          - Welche Möglichkeit ist die beste? 

      Einsatztaktik unter wirtsch. Gesichtpunkten 
      • Vor jeder Maßnahme: 
        • Was passiert, wenn wir etwas machen? 
        • Was passiert, wenn wir etwas anders machen? 
        • Was passiert eigentlich, wenn wir gar nichts machen? 
        • Auch Löschwasserschäden rechtzeitig auf notw. Ausmaß reduzieren! 

        Unsere Vorgehensweise - eine kritische Analyse 

        • Was tun wir? 
          • 1. Angreifen 
          • 2. Angriff über Treppenräume und Flure 
          • 3. Umfassend angreifen 
          • 4 Überdruckbelüfter einsetzen 
          • 5. Lüften, lüften, lüften 
        • Was tun wir selten oder nie? 
          • 1. Stabilisierung des vorgef. Zustandes 
            • zB. Kühlen u. Stabilisieren; Ausbreitung, Explosion verhindern 
          • 2. Auch mal etwas aufgeben 
            • Konzentration auf erreichbare Ziele 
          • 3. Den Angriff in Ruhe vorbereiten 
          • 4. alternative Angriffswege nutzen 
            • nicht immer über Treppenraum und Flur 
          • 5. Der "qualifizierte" Außenangriff, zB. v. Drehleiter aus, von Terrasse etc. 
          • 6. Lüftungsmaßnahmen konkret planen 
            • Windrichtung beachten 

              Klimaanlage vorhanden? 

              Rauch soll nicht über "Weißbereiche" abziehen 

        Dem Druck der Öffentlichkeit standhalten 

        • Unsere Kunden sind die Betroffenen 
          • nicht die Meiden... 

        Das Öffnen einer einzigen Tür - eine entscheidende taktische Maßnahme 

        • vorher Fragen: 
          • was passiert, wenn wir diese Tür öffnen? 
            • Gefahr der Rauchgasdurchzündung 

              Tür hält Sauerstoff zurück 

              Tür hält Rauch zurück 

              hilft Rettungswege rauchfrei zu halten 

            Müssen wir diese Tür öffnen? 

            • gibt es alternative Angriffswege? 

              kann Brand mit FogNail bekämpft werden? 

              sind überhaupt noch Werte zu retten, die mögliche Rauchschäden übertreffen? 

            Müssen wir diese Tür jetzt öffnen? 

            • kann vielleicht noch zugewartet werden 

            Können wir noch etwas tun, 

            um die Auswirkungen zu reduzieren? 

            • Angriff in Ruhe vorbereiten 

        Wir haben eine Tür geöffnet - Was sind die Konsequenzen? 

        • Rauch breitet sich unkontrolliert aus 
        • Rettungswege werden unpassierbar 
        • Menschen werden verunsichert 
        • Angriffs- und Rückzugswege werden länger 
        • Lage wird unübersichtlich 
        • Sachschäden steigen sprunghaft an 
  • Lösungsansätze 
    • alternativer Angriffsweg 
      • Hausbewohner werden den Weg weisen, den sie üblicherweise gehen 

        Dieser Weg ist jedoch evtl. nicht ideal 

        z.B. Kellerbrand, Tür geschlossen, Treppenraum rauchfrei 

        • Suche nach altern. Zugang 

        z.B. Zugang über Terrasse 

        zusätzlich schon auch Sicherung auf klassischem Weg mit AS und Wasser am Strahlrohr, aber nur bis Rauchgrenze. 

        Greift nur ein, wenn sich Feuer ausbreitet oder auf Befehl. 

    • Beispiel 
      • Ausgangslage: Brand in Küche einer 3-Zimmer-Wohnung, 

        Küchentür ist geschlossen, Restl. Wohnung weitgehend rauchfrei. 

        Massiver Rauchaustritt aus Küchenfenster, keine Personen in der Wohnung 

        klassische Vorgangsweise: 

        Rauch kann sich auf die gesamte Wohnung un den Treppenraum ausbreiten 

        Variante 1: Türen aller vom Brand nicht betroffenen Räume schließen, bevor der Trupp die Küchentür öfffnet 

        Variante 2: qualifizierter Außenangriff: Trupp schließt die Türen und geht vor der Küchentür in Position. 

        2. Rohr greift von außen über das Küchenfenster an. 

        Erfordert große Disziplin des Truppführers vor der Küchentür! 

        Variante 3: Türen umgehen: Trupp steigt über ein anderes Zimmer der Wohnung ein, damit bleibt zumindest die Wohnungsabschlusstür zu und der Treppenraum rauchfrei 

        Variante 4: Lüftereinsatz im Druckbetrieb: Überdruckbelüfter vor dem Gebäude; Nach Kontrolle des Treppenraumes werden dort alle Fenster geschlossen, In der Wohnung alle Türen schließen, dann erst die Küchentür öffnen. Der Überdruck drückt die Luft in die Küche und kann durch das Küchenfenster abströmen. 

        Variante 5: mobiler Rauchverschluss, evtl. auch in Kombination mit einem Hochleistungslüfter 

        Variante 6: Angriff mit FogNail: Feuer wird deutlich eingedämmt; wie es letztendlich gelöscht wird, kann ohne Zeitdruck entschieden werden. 

        Variante 7: Lüftereinsatz im Saugbetrieb (wenn Fenster nicht geborsten und sich auch nicht von außen öffnen lässt) Lüfter wird in einem Zimmer so aufgestellt, dass der Abluftkegel das Fenster komplett belegt. Die Wohnungstür wird soweit wie möglich geschlossen. Der Rauch aus der Küche zieht durch den Luftstrom mit ab. 
        Diese Variante ist jedoch mit Risiken verbunden! 

    • Richtiges Lüften 
      • Wo sind die Schadstoffe und wo sollen sie hin? 
      • Wo sind die Schadstoffe und wo wollen wir sie auf keinen Fall haben? 
    • Qualifizierte Übergabe der Wohnung 
      • Die Wohnungsinhaber beim Abrücken nach dem Brand in sachlicher Form über das Gefährdungspotenzial für Personen und Sachwerte informieren. Die Feuerwehr Karlsruhe hat bspw. hierzu Broschüren aufgelegt 
    • Wie erklären wir es unserer Mannschaft? 
      • taktische Überlegungen ansprechen und diskutieren 
      • Übung nach konventioneller und alternativer Methode im Vergleich 
    • Änderung der technischen Ausstattung 
      • Wärmebildkamera 

        Entwicklung v. Geräten, die ermöglichen, moderne Fenster v. außen gefahrlos zu zerstören. 

        FogNail ("Löschlanzen") 

    • vorbeugender baulicher Brandschutz 
    • Umdenken - auch im Interesse der eigenen Sicherheit 
  • Zusammenfassung 
    • Es ist die Pflicht der Politik, die Gelder für die Pflichtaufgabe "Brandschutz" bereitzustellen. 

      Der Autor träumt von einer verantwortungsbewussten, gut geschulten und angemessen ausgestatteten Feuerwehr, die die Werkzeuge von der Gemeinde zur Verfügung gestellt bekommt, die sie benötigt, um gute Arbeit ohne sicherheitsrelevante Defizite leisten zu können. 

      Einsatzstellen nach dem Brand kritisch begehen, Einsatznachbesprechung. 

      Übungen unter realitätsnahen Bedingungen, nicht immer mit voll besetzten Fahrzeugen.

      Fehler bei Übungen aufdecken, um besser zu werden.

      Die meisten Probleme sind Einstellungsprobleme in unseren Köpfen. Sie lassen sich ohne finanziellen Aufwand lösen. Wir müssen es nur wollen. 


Text: Franz Bretterbauer

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